Amerungen in der Neuzeit
M. Müller
Im
Jahre 1660 heißt es in einem Protokoll, es solle das Haus zu Amerungen
abgebrochen und als Wohnung für den Kaplan in Lichtenau aufgebaut
werden. Ob es sich bei diesem Haus um den besagten „Lindenhoff“
gehandelt hat, wissen wir nicht. Der Ort Amerungen besaß in jedem Fall
eine Kirche und ist auch als Kirchort erwähnt. Auch diese Kirche scheint
das Dorf um einige Zeit überdauert zu haben. Als 1429 Abgeordnete des
Klosters Böddeken die Grenzen des Klosters Dalheim neu festlegen mußten,
bestand in Amerungen noch eine Steinkirche. Sie wird wohl an Stelle der
heutigen Kapelle gestanden haben, denn man hat mündlicher Überlieferung
nach in der Vergangenheit des öfteren menschliche Gebeine in der Nähe
der Kapelle gefunden.
Das
Patrozinium der Amerunger Dorfkirche liegt bislang ebenfalls im
Dunkeln. Lediglich die Bemerkung in der heutigen Protalinschrift „…als
das alte Heiligtum der Hl. Anna zusammengefallen war (VETUSTO SACELLO
S[anctae] ANNAE COLLAPSO)“ läßt darauf schließen, daß auch der
Vorgängerkirche der irdischen Großmutter Jesu geweiht war. 1502 war die
Kirche bereits verschwunden (s. o.). 1669 schließlich läßt der
Paderborner Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg das Gotteshaus neu
errichten.
Diese
Kapelle ist typisch für den sogenannten Fürstenberger Barock. Sie
bildet einen einschiffigen Raum mit sehr flachem 3/8 Chorschluß und
steinernem Tonnengewölbe im Innern. Die Außenmauern haben eine Stärke
von 1,20 Metern. Die Kapelle ist im lichten 7,20 Meter lang und 3,70
Meter breit. An der Nord- und Südwand befinden sich je zwei
Strebepfeiler, dazwischen an jeder Seite zwei rundbogige, einfach
bleiverglaste Fenster ohne Maßwerk. Die Chorwand der Kapelle ist außen
verschiefert. Auf dem schiefergedeckten Dach sitzt, etwas aus der Mitte
nach Osten verschoben, ein achteckiger Dachreiter mit gedrungener
Welscher Haube und Wetterhahn. Die Holzkonstruktion des Dachreiters
sitzt nicht auf den Sparren auf, sondern stützt sich im Dachinneren auf
zwei Querbalken knapp über dem Gewölbe, welche seitlich auf der
Mittelpfette aufliegen. Die kleine Bronzeglocke trägt die Inschrift:
„HENR[icus] HUMPERT BRILONIENSIS ME FUDIT SOLI DEO GLORIA 1866“
(Heinrich Humpert aus Brilon hat mich gemacht. Allein Gott die Ehre.
1866). Die Glocke wird vom Schiff der Kapelle aus per Seil geläutet. An
der Nordseite der Kapelle war bis in die 1960er Jahre eine Dachgaube mit
Satteldach und Tür. Eine Begehbarkeit des Dachraumes wird nicht nur
wegen des Turmes und der Glocke notwendig gewesen sein. Vor dem
Hochaltar befindet sich im Gewölbe ein hölzerner Durchlaß für ein Seil
oder eine Kette. Hier dürfte eine Ewig-Licht-Lampe gehangen haben, die
von oben herabgelassen werden konnte. Die tiefen Seileinschnitte im
Führungsholz bestätigen jedenfalls ihr ehemaliges Vorhandensein. Ein
zerbrochenes Seilrad liegt ebenfalls noch auf dem Dachboden. Die
erwähnte Dachgaube wurde bei der Renovierung nach 1960 entfernt, da sie
angeblich nicht ursprünglich war. Aus den genannten Gründen ist dem zu
widersprechen.
Die
Kapelle ist nicht geostet, sondern Chor und Hochaltar sind im Westen.
An der rückwärtigen Außenseite des Chores, also im Freien, befindet sich
ebenfalls ein Altar, der jetzt von einer mächtigen Kastanie (1871
gepflanzt) beschattet wird. Der Stipes ist massiv, aus Bruchsteinen
aufgebaut, die Mensa besteht aus einer dicken Sandsteinplatte. Von den
ehemals fünf Weihekreuzen der Mensa sind das mittlere und die beiden
hinteren der Verwitterung entgangen. Das Meßopfer am Annentage wurde
wegen der vielen Gläubigen früher an diesem Außenaltar gefeiert, wobei
dann auch eine Ostung des Altares gegeben ist. Allerdings zeigt die
Zeichnung der Annenkapelle des Paderborner Gymnasiallehrers Franz-Joseph
Brand aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Außenaltar an der
Nordseite der Kapelle zum Berge hin. Für die Durchführung des
Gottesdienstes wäre seine Lage an dieser Stelle zwar nicht
rubrikengerecht, aber durchaus praktischer. Es ist bislang unklar, ob
der Außenaltar später verlegt wurde oder aber die Zeichnung ungenau ist.
Der schöne Hochaltar in der Kapelle ist ein hölzerner Barockaufbau auf
steinerner Mensa. Da er die Jahreszahl 1665 trägt, also etwas älter als
die Kapelle ist, wird er gebraucht gekauft worden sein. Seine Werkstatt
ist leider bislang unbekannt. Wahrscheinlich paßte das ursprüngliche
Altarbild so nicht zum Patrozinium der Kapelle, jedenfalls wurde es 1749
durch Egon von Fürstenberg, Präpositus des Busdorfstiftes zu Paderborn,
gegen das heutige ausgetauscht. Das Bild (Öl auf Leinwand, Künstler
unbekannt) stellt St. Anna, ihren Mann Joachim und ihre Tochter Maria
vor einer antikisierenden Architekturkulisse dar. Die lateinische
Stiftungsinschrift des Bildes lautet zu deutsch: „Egon von
Fürstenberg, Dekan und Kanonikus, hat mich anfertigen und diesen Altar
wieder herstellen und ausschmücken lassen i. J. 1749.“ Der untere Teil des Altarbildes trägt in acht recht unregelmäßig aufgeteilten Feldern die deutsche Beschriftung: „Trösterin
der Betrübten – Hoffen der schiffbruchleidenden – Du Hülff der
gebährenden – Du schutz der Zugrundgehenden – Heil der Kranken –
Trösterin der sterbenden – Du fruchtbringerin der Unfruchtbaren – Du
Hülff der hulfbedurftigen.“ Das originale Altarbild wurde 1955 durch
eine gute Kopie des damals in Lichtenau ansässigen Malers Andreas Block
ersetzt. Das Originalbild hängt seitdem in der Lichtenauer Pfarrkirche.
Auf der Altarmensa steht ein schöner, kleiner Tabernakel mit dem Lamm
Gottes auf einem Buch mit sieben Sigeln (gemalt) auf der Tür. Die
Vorderseite des Altarstipes trägt ein ebenfalls gemaltes Christogramm
(JHS). Am Hochaltar befindet sich im Auszug das erste Wappen Ferdinands
von Fürstenbergs, das er von 1661 bis 1668 führte. Es ist ein
vierteiliges Schild, in dem zwei Felder das ältere Paderborner
Bistumswappen (rotes Kreuz auf weißem Grund) und zwei Felder das
Familienwappen (zwei rote Querbalken auf Goldgrund) zeigen. Das Wappen
am Portal und am Gewölbeschlußstein ist das zweite Wappen des Bischofs,
das er von 1668 bis 1678 führte. Die vier Außenfelder zeigen zweimal
das erwähnte Bistumswappen und zweimal das Pyrmonter Ankerkreuz (rot auf
silber). Das erwähnte Fürstenbergische Familienwappen liegt diesen
Außenfeldern als Herzschild in der Mitte auf. Da die Kapelle
tonnengewölbt ist, hat der Schlußstein, anders als bei einem
Kreuzgewölbe, nur dekorativen Charakter.
Neben
dem Hochaltar steht eine Statue aus dem Ende des 19. Jahrhunderts,
welche die Hl. Mutter Anna mit Maria zeigt. Auf dem Buch, das St. Anna
dem Kinde zeigt, findet sich die alttestamentliche Weissagung über die
zukünftige Gottesmutter und den Messias: „Ecce virgo concipiet et pariet filium et vocabitur nomen eius Emmanuel. Isaias VI-XIV“ Zu deutsch: „Siehe die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären und sein Name wird sein Immanuel. Isaias 6,14“)
Das
reich geschmückte Portal trägt in einer Kartusche unter dem
Erbauerwappen folgende lateinische Stiftungsinschrift: „D.[omino]
O.[ptimo] M.[aximo] S.[acrata] FERDINANDUS DEI ET APOSTOLICAE
SEDIS GRATIA EPISCOPUS PADERBORNENSIS COADIUTOR MONASTERIENSIS
S[acri] R[romanii] I[imperii] PRINCEPS ET COMES PYRMONTANUS
VETUSTO SACELLO S[anctae] ANNAE COLLAPSO PRO SUA IN DEIPARAE
VIRGINIS MATREM PIETATE NOVAM HANC AEDICULAM P C AN[no] M DC
LXIX.“ Zu deutsch:
„Gott, dem Höchsten und Größten, geweiht! Ferdinand, von Gottes
und des Apostolischen Stuhles Gnaden, Bischof von Paderborn, Coadjutor
von Münster, des Heiligen Römischen Reiches Fürst und Graf zu Pyrmont,
hat diese neue Kapelle aus Pietät gegen die Mutter der jungfräulichen
Gottesgebärerin, als das alte Heiligtum der Heiligen Anna zusammengefallen war, errichten lassen im Jahre 1669.“
Hochaltar und Kapelle sind konsekriert, worauf die noch originalen
Apostelkreuze an den Wänden sowie die Kreuze in der Altarmensa
zweifelsfrei hinweisen. Die Konsekration nahm der Fürstbischof
eigenhändig am 21. Juli 1672 vor. In den Hochaltar sind Reliquien der
Heiligen Bonifatius, Ulrich von Augsburg und Meinolphus eingefügt.
Von
1865 bis 1886 wohnte bei der Annenkapelle ein Laienbruder als Eremit.
Urkundlich ist über ihn nicht mehr viel nachzuweisen. Im Jahre 1886
berichtet die Ortschronik der Gemeinde Husen auf Seite 32 über ihn: „Es
erscheint uns wichtig, nachträglich noch über den früheren Eremit
Theodosius Stückerath hier zu verzeichnen. Derselbe erbaute sich bei [der] Amerunger
Kapelle, mit Genehmigung der geistlichen und weltlichen Behörde, im
Jahre 1865, eine Klause. Da sein Lebenswandel, besonders in den letzten
Jahren, nicht dem eines Ordensmannes entsprach, sah sich die
Bischöfliche Behörde veranlaßt, gegen denselben sein Ordenskleid
abzulegen und die Klause zu verlassen habe. Stückerath hielt sich nun
teils in der Klause und in Lichtenau auf. Als am Morgen des 24.
Augustes, die Arbeiter des Gutsbesitzers Günter Früh nach Amerungen
kamen, war die Klause schon total niedergebrannt. Wie der Brand
entstanden ist, bleibt der Gemeinde ein Rätsel. Da Stückerath angeblich
weder am Tage vorher, noch an dem Morgen, da zugegen war und das
Haus dauerhaft gebaut war und Feuergefährliche Stoffe in demselben nicht
lagerten. Trotz aller polizeilichen Recherchen, hat über das Entstehen
des Brandes nichts ermittelt werden können. Stückerath hatte zu 1000
Mark versichert, hat das Geld ausbezahlt bekommen und ist damit
verschwunden.“
Soweit
die Husener Chronik. Erzählungen zufolge soll der Klausner auch der
Wilderei nicht ganz abgeneigt gewesen sein. An der Landstraße Husen –
Lichtenau steht am sog. Einschnitt die „Äuwerslinge“ oder
„Ambrosiuslinde“, welche ein Wegkreuz beschattet und die der Eremit
gepflanzt haben soll.
Die
Verehrung der heiligen Mutter Anna ist in unserer Heimat immer sehr
volkstümlich und beliebt gewesen. Sie war Patronin der Mütter und
Erziehenden, der Gebärenden, der Müller und Bergleute, ja sie wurde
selbst bei Pferdekrankheiten angerufen. Speziell in Amerungen kam ihr
eine besondere Art der Fürsprache zu: Wollte ein junges Mädchen einen
guten Mann, so mußte sie siebenmal hintereinander zum Annentage pilgern,
wenn nicht das Bildnis der Heiligen ihr schon bei einem früheren
Bittgang ihr zunickte. Das entsprechende Bittgebet lautete in recht
derber Volkstümlichkeit: „Heilge Mutter Anne, hölp mey taun chudden Manne! Einen, dei nit kratzet un nit soupet, un nit bey annere Fruggens kroupet.“
Die
Paderborner Fürstbischöfe haben immer streng auf die Annenverehrung
gehalten. Als sich die Holtheimer aus unbekannten Gründen 1734 nicht an
der Annenprozession von Lichtenau aus beteiligten, sondern nur vier
Mädchen zum Tragen der Marienstatue („Bildmäkens“) schickten, wurden
sie vom Archidiakon zu 5 Talern Strafe verurteilt. 1785 wurde der
Annentag durch Fürstbischof Friedrich Wilhelm von Westfalen auf den
ersten Sonntag im August gelegt und die Prozessionen von Atteln und
Asseln abgeschafft. Seither ziehen nur noch die Prozessionen von
Lichtenau und Holtheim sowie sporadisch eine von Kleinenberg und von
Husen. Die Lichtenauer Prozession führt das Allerheiligste mit. Sobald
früher (bis etwa 1970) die Prozessionen in das Tal einzogen, wurde mit
Böllern geschossen, und von den umliegenden Bergen hallte ein vielfaches
Echo wieder.
Nach
Eintreffen der Wallfahrer wird unter dem Kreuz vor der Kapelle vom
Lichtenauer Pfarrer das Hochamt gesungen, der Festprediger und der
Pfarrvikar von Holtheim levitieren dabei. Der Holtheimer Vikar hat alter
Sitte nach auch das Hochamt am folgenden Montag in Amerungen zu halten.
Noch bis in die 1960er Jahre zogen die Prozessionen nach einer
angemessenen Mittagspause auch wieder nach Lichtenau und Holtheim
zurück, wobei sich dann allerdings die Teilnehmerzahl verringerte, da
viele Gläubige weiterhin an den Schänken verweilten.
Nach
dem Hochamt entwickelt sich seit alters her an den aufgeschlagenen
Marktständen und Schänken ein reges Treiben, das teilweise bis in den
späten Nachmittag geht. Dabei spielte natürlich früher wie heute auch
der Alkoholgenuß eine Rolle. Häufig wurde er schon während der
Gottesdienste ausgeschenkt, was natürlich erhebliche Störungen
verursachte. Nachmittägliche Raufereien zwischen Betrunkenen aus den
umliegenden Dörfern trugen ebenfalls nicht zur Hebung der Andacht bei
und veranlaßten die Pfarrer der umliegenden Dörfer immer wieder zu
Klagen. Die Mißstände wurden schließlich am 10. Januar 1785 Gegenstand
einer Verordnung Fürstbischof Friedrich Wilhelms von Westfalen, in der
u.a. zu lesen ist: „Unter solchen Unordnungen und allgemach
eingerissenen Mißbräuchen ist nun auch hauptsächlich damit zu rechnen,
daß zu Lichtenau bey der auf S. Annen-Tag nach der Kapelle zu Amerungen
üblichen Prozession daselbst während der predigt und Gottesdienst Markt
gehalten, Brot und Branntwein verkauft, gegessen, getrunken und
geplaudert werde etc.“ Im Folgenden suchte die Verordnung diese Mißstände abzustellen (vollständiger Text siehe unter 1.3.).
Eine
schöne Schilderung des Annentages in der blumigen Sprache der damaligen
Zeit liefert uns der Holtheimer Pfarrvikar Joseph Rörig im Jahre 1913.
Der Text soll hier vollständig wiedergegeben werden:
„Das
höchste Fest für Holtheim ist wohl St. Anna (I Sonntag im August) oder
wie die Leute sagen Amerungen. Jung und alt freut sich schon lange
vorher darauf. Die Schuljugend spart, um auf Amerungen oder wie auch der
Volksmund sagt Amelungen Geld zu haben. Die letzten Tage vor dem Feste
geht’s Backen los, und die Frauen sieht man mit großen Kuchen von den
Backs kommend das Straßenbild beleben. Verwandte werden geladen, und da
die Schulferien im Bergischen begonnen haben, kommen viele geborene
Holtheimer mit ihren Kindern auch aus dem Bergischen. 1913 sind in den
Ferien rund hundert Kinder in Holtheim zu Besuch gewesen.
Die
kirchliche Feier verläuft folgendermaßen: Des Sonntags in der Frühe
fahren ein Pater und der Kaplan von Lichtenau in einem Lakenwagen mit
den nötigen Paramenten u.s.w. für den Gottesdienst und den Utensilien
für Kaffeekochen und Kaffeetrinken und Butterbröden und Pastors
Threschen im Hintergrunde des Wagens. Es geht an einzelnen oder
gruppenweise nach Amerungen Pilgernden und an den Bildmädchens vorbei.
Zunächst wird Beichte gehört. Wenn ihm die Leute zu nahe rücken, nimmt
der Pater sich seinen Beichtstuhl und wandert aus, um zwischen Kapelle
u. Bach Beichte zu hören und die Herzen froh zu stimmen. Dann liest der
Pater die Frühmesse u. teilt die hl. Kommunion aus. Hierauf stärkt
Threschen den Hungrigen im Zelte hinter der Kapelle mit duftendem Mokka.
Kurz vor 10 Uhr läutet das Glöckchen, verkündet das Nahen der
Lichtenauer theophorischen Prozession, die Böller krachen in mehrfachem
Echo wiederhallend, der Choral einer Musikkapelle mischt sich hinein,
der abgelöst wird von dem Gesange der mit der Prozession kommenden
Pilger. Und aus dem Tale von Holtheim rauscht durch den herrlichen
Buchenwald: „Mutter Anna, Dir sei Preis“ von der Holtheimer und
Kleinenberger Prozession. Wenn dann die Sonne dazu so freundlich
hernieder grüßt, jede Wolke verscheucht und die Natur den Wald und die
Wiesen, Berg und Tal mit den ihr eigenen Reizen belebt, und vom Tale
herauf und vom Berge herab, von allen Himmelrichtungen über alle Pfade
des Waldes gleichsam als ob es in den Büschen lebendig würde, hunderte
und hunderte auf die Kapelle zugewandert kommen und mindestens
zweitausend Menschen dem Hochamte beiwohnen, und mächtig ihr Lobgesang
über das Tal u. die Berge erschallt und freudig u. geheimnisvoll im
Walde wiederhallt und wenn dann der Pater im schlichten Habite nach
Beendigung des Hochamtes die Kanzel unter dem Baume besteigt, von Gott
redet und dem einen großen und schönen Ziele, dann kann man es wohl
verstehen, daß selbst aus weiter Ferne hier Geborene in die Heimat
kommen zum St. Annafeste.
Nach
der Predigt ist eine Ruhepause für Körper und Geist und damit die
Jugend ihre Kirmessen sich kaufen und die Erwachsenen bei „edlem Trank“
ihren Durst löschen und Bekannte und Verwandte grüßen u. Wünsche
austauschen können.
Auf
das Glockenzeichen hin versammeln sich die Lichtenauer zur Rückkehr in
theophorischer Prozession, worauf die Holtheimer und die Kleinenberger
Prozessionen ebenfalls Amerungen wieder verlassen.
Am
folgenden Tage wird wiederum in Amerungen Beichte gehört und zwar von
dem Kaplan in Lichtenau und der Holtheimer Vikar, der die Frühmesse
liest (Stiftsmesse bei der Kaplanei in Lichtenau, wofür er eine
Vergütung von 3,50 M von dem Kaplan in Lichtenau erhält.) Eine
Verpflichtung besteht für den Holtheimer Vikar nicht. Nach Ankunft der
Lichtenauer Schulkinder-Prozession liest der Kaplan das Hochamt.
Neben
dem Schönen und Guten hat das Fest auch Schattenseiten. Vikar Hansmeyer
hat einen längeren Kampf geführt gegen die Umgehungen des
Schankverbotes. 1912 wurde die Andacht des Hochamtes arg gestört durch
das Spielen der bei den Buden sich herumtreibenden Kinder.
1913
kamen sehr viele von den Buden und Bierbänken erst zur Opferung zur
Kapelle, als der Schreiber dieses die [unleserlich] darauf aufmerksam
machte, daß der Gottesdienst schon längst begonnen habe und daraufhin
die Buden geschlossen wurden. Und wie viele halten noch Andacht in
Amerungen, wenn die Prozessionen schon längst zurückgekehrt sind, und
die Kapelle geschlossen ist. Da gilt es: Videant consules.“ (Rörig,
Chronik, 1913, S. 71 ff)
Literatur:
-Ortschronik der Gemeinde Husen [ungedrucktes Manuskript], Seite 32.
-Pagendarm, Paul: Amerungen. In: Die Warte, Paderborn, Jg. 4.1936, S. 26-27, S. 46-49, S.58-60.
-Rörig, Joseph: Chronik der Gemeinde Holtheim. [Ungedr. Manuskript im Pfarrarchiv Holtheim],
um 1915, S. 71 – 74.
-Voß, Anton: Amerungen. In: Heimatbuch des Kreises Büren [Bd 1]. Büren 1923, S. 47f.